Cartoon: Gamification

Wer kennt das nicht? Man sitzt in einem Workshop, ahnt nichts Böses, und der Agile Coach präsentiert uns eine Kiste Lego mit einer Aufgabe, wie wir gemeinsam lösen sollen. Wir lernen spielerisch das Prinzip Agilität kennen und verstehen deswegen alles sehr viel besser und schneller – so zumindest die Hoffnung. Aber stimmt das auch?

Ich bin kein großer Fan des Ball Point Games oder ähnlicher Agiler Spiele, weil sie genau das sind: Spiele. Es gibt Situationen, in denen sie angebracht und hilfreich sind, und es gibt natürlich Situationen, in denen sie überhaupt nicht helfen oder die Sache sogar noch komplizierter machen.

Wie kann das sein?

Spiele haben eine lange Tradition als unterstützendes Lernmittel, und ich bin fest davon überzeugt, dass das auch einen guten Grund hat. Die Pädagogen und Psychologen unter uns werden hierzu noch viel mehr sagen können als ich. Eine Grundsatzdiskussion will ich hier auch nicht anstoßen, weil wir sie sowieso nicht befriedigend zum Ende führen könnten. Mein Wunsch ist es lediglich, dass wir uns klar machen, was wir mit einem Spiel eigentlich tun: wir abstrahieren und vereinfachen (massiv) die Welt.

Genau an dieser Stelle habe ich mein Problem. Die Welt ist komplex und kompliziert und oft genug auch höchst volatil. Der Versuch einer Antwort auf dieses Problem ist Agilität (was zwar allein nicht ausreicht, aber hier hätten wir wieder genug Stoff für ein paar weitere Blogbeiträge). Im Spiel lösen wir jedoch ein sehr einfaches Problem in einem sehr einfachen Umfeld. Welchen Lerneffekt erziele ich damit? 

Meine Erfahrung ist, dass ich in diesen Spielen mehr über Grundprinzipien von Zusammenarbeit (also Teamwork im engsten Sinne) lerne, was ich für ein Agiles Vorgehen in jedem Fall brauche, aber die zu beobachtenden Effekte nach einem solchen Spiel sind oft genug dürftig, auch in der Zusammenarbeit im Team, weil die Kollegen dann doch an alten Gewohnheiten festhalten.

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Ein Spiel allein ändert nichts. Der Erkenntnisgewinn für die Teilnehmer eines Spiels ist gering. Ich kann ein Spiel einsetzen, um einen einzelnen kleinen Punkt zu unterstreichen und klarer zu machen, aber das Spiel sollte nicht Zentrum meiner Bemühungen werden.

Wie viele Kollegen sind schon bester Laune aus so einer Lego-Session herausgekommen, weil es viel Spaß gemacht hat, und waren dann nicht in der Lage, das vermeintlich Gelernte in ihrem Team umzusetzen? Hier komme ich nämlich zum nächste Problem: Spiele erfordern eine Transferleistung. Wir mussten gemeinsam eine Haus mit Lego bauen, jetzt arbeitet das Team aber an einem hochkomplexen Produkt, gemeinsam mit mehreren anderen Teams. Kunden fragen ständig, wann Dinge fertig sind, und die Organisation hat für viele Dinge bestimmte Prozesse vorgesehen, die wir nicht von heute auf morgen über den Haufen werfen können. Das Lego Haus hat sehr wenig mit den Problemen in der echten und wahren Welt zu tun, mit denen das Team umgehen muss.

Ich bin also bösartig und behaupte, Spiele seien Blender. Wir haben gute Laune, weil es Spaß macht. Wir haben das Gefühl, etwas gelernt zu haben, weil wir die Aufgabe im Spiel gelöst haben. Wir sind motiviert, weil wir im Spiel sehr schnell Fortschritte erzielt haben. Wir wissen jedoch nicht, wie wir die wahre Welt in so kleine und einfache Problemstellungen aufteilen können, die mit denen vergleichbar sind, die wir im Spiel so einfach lösen konnten.

Spiele sind für mich nicht geeignet, ein Prinzip verständlich zu machen, weil sie zu stark vereinfachen und zu weit von der Realität entfernt sind. Sie sind für mich geeignet, einfache Details klarer zu machen. Dabei können sie jedoch immer nur unterstützend wirken und niemals für sich allein stehen. 

Natürlich weiß ich auch, dass es viele Spiele gibt, und einige sind auch ganz hervorragend – für einen jeweils sehr eng begrenzten Zweck. Kein Spiel ist nahezu universell einsetzbar, und ich würde auch niemals das Prinzip Agilität anhand eines Spieles erklären wollen, aber auch ich setze ab und an Spiele ein, wenn es um die Zusammenarbeit im Team geht. Diese Spiele können dann Einleitung sein, um ein aktuelles Problem anders darzustellen und andere Denkmuster zu fördern, oder sie können abschließend das Gelernte noch einmal auf einer anderer Ebene erfahrbar machen.

Ich bin kein großer Fan von Spielen – Ihr könnt das anders sehen. Es ist Eure Meinung. Vor einer Sache möchte ich Euch jedoch warnen: Ach ja, die Scrum Master sind die, die immer die Spiele spielen.

Diesen Ruf bekommt man sehr schnell, und man wird ihn nur sehr langsam wieder los. Das führt dazu, von einigen Personen im Unternehmen nicht mehr wirklich ernst genommen zu werden.

Ich rate auch dringend davon ab, zu viele Spiele zu spielen, wenn man mit den Nadelstreifen zusammensitzt. Zu schnell fällt der Begriff »Kindergarten«, und zu schnell verliert man dann die Unterstützung. Top-Management denkt oftmals in Zahlen und harten Absprachen. Bitte vergesst das nicht. Wenn ich hier Überzeugungsarbeit leisten möchte, brauche ich eine andere Form der Kommunikation. Hier bietet sich eher eine kausale Argumentation an. Mit Logik erreiche ich hier mehr, wenn ich die Kollegen nicht überfordere.

Ein paar Spiele in seinem Werkzeugkasten zu haben, schadet nicht. Ganz im Gegenteil: sie helfen sogar. Sie können lange Workshops auflockern, oder – wie oben schon beschrieben – einen Beitrag um Teambuilding leisten.

Eine ganz guten Start in das Thema der Spiele findet sich hier: https://www.haufe.de/personal/hr-management/agile-spiele-agilitaet-spielerisch-erleben_80_390094.html

Verabschiedet euch allerdings von dem Gedanken, dass es irgendwo eine riesige Liste samt Anleitungen gäbe. Alle Coaches und Scrum Master, die ich kenne, haben sich ihren Werkzeugkoffer samt Spielen aus unterschiedlichsten Quellen zusammengesammelt. Die Qualität der Blogbeiträge und Bücher variiert natürlich maximal. Hinzu kommt, dass ein Buch, dass für eine Person ganz großartig ist, einer anderen Person wie der letzte Dreck erscheint. Schon allein die Situationen, in denen sich die beiden Personen befinden, sind sehr unterschiedlich.

Worauf sollte man bei Spielen achten?

Eine allgemeine Empfehlung ist, dass ich den Aufwand für Spiele immer möglichst gering halte. Wenn man einen ganzen Koffer Zeug braucht, eine halbe Stunde für die Erklärung der Regeln opfern muss und anschließend auf ein paar Kilo Abfall sitzen bleibt, dann will das für mich nicht passen. Ein Spiel sollte schnell erklärt und schnell durchgeführt werden können. Andernfalls nimmt es einen zu großen Raum der Veranstaltung ein. Für die Teilnehmer wird es schnell zum Zentrum des Workshops. In diesem Fall hätten wir unser Ziel verfehlt.

Ich rate auch dringend davon ab, irgendetwas mit körperlichem Einsatz zu tun. Die Teilnehmer in den Ecken des Raumes Aufstellung nehmen zu lassen, ist noch ok. Es tut manchmal auch ganz gut, sich vom Tisch erheben zu können. Eine Grenze ist jedoch spätestens dann erreicht, wenn die Teilnehmer sich in irgendeiner Form berühren müssen. Sich gegenseitig Pullover anzuziehen, oder was auch immer man da alles tun kann – grundsätzlich und immer eine blöde Idee. Fangt bitte nicht an, darüber zu sprechen, dass es Szenarien geben kann, in denen das ok ist, wenn sich das Team gut kennt und versteht. Wir wissen zu wenig darüber, wann was für wen unangenehm ist. Lasst es einfach sein, es gibt immer auch andere Optionen.

Die Auswahl des »richtigen« Spiels ist eine knifflige Sache. Es sollte einfach sein, aber das allein sagt uns natürlich noch wenig. Zuerst einmal frage ich mich doch, was ich überhaupt erreichen will, und dann frage ich mich, wie ich das erreichen kann. Wenn ich zum Schluss komme, dass ein Spiel ein guter Weg ist, mein Ziel zu erreichen, dann mache ich mir klar, dass ein Spiel genau einem Zweck dienen sollte. Ich versuche nicht, zwei oder drei Botschaften damit zu vermitteln. Damit würde ich nur alles zu komplex und auch zu verwaschen machen. Was versuche ich zu vermitteln? Welcher Weg führt zum Ziel? Ist es ein Spiel? Welches Spiel erfüllt genau(!) diesen Zweck? Ist es einfach genug? Geht es schnell?

Anders sehe ich die Sache beim spielerischem Umgang mit konkreten Themen, z.B. Planning Poker oder Delegation Poker: https://komfortzonen.de/delegation-poker-bessere-entscheidungen-im-team/

Hier wird ein Spiel (was nicht wirklich ein Spiel ist, aber wir wollen mal nicht so kleinkariert sein) zum direkten Werkzeug. Ich benötige keine Transferleistung. Ich muss die Handlung des Spiels nicht in das wahre und echte Leben übersetzen. Ich arbeite im Spiel mit dem wahren und echten Leben, wodurch ich den Zugang erleichtere oder auch den Startpunkt einer Diskussion verschieben kann.

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