Cartoon: Die Vorteile selbstorganisierter Teams

Das Problem beginnt schon damit, dass wir uns oftmals noch nicht einmal über die Definition des Begriffs im Klaren sind. Eine gemeinsame Definition des Begriffs haben wir noch viel seltener, und obwohl sich die Fehler beim Paradigmenwechsel hin zur Selbstorganisation wiederholen (es gibt auch nur zwei in meiner grenzenlos vereinfachten Welt), werden diese doch immer wieder gemacht. Woran liegt das, und wie vermeiden wir das?

Als ich für diesen Beitrag nach einer offiziellen Definition des Begriffs gesucht habe, bin ich auf die Erklärung in Wörterbüchern gestoßen, die aus der Philosophie, der Systemtheorie,  gleich mehrere aus unterschiedlichen Quellen, die man grob dem Bereich »Business« zuordnen kann, und einige mehr. Komischerweise recht wenig aus dem Dunstkreis Agile. Dort benutzen wir den Begriff, definieren ihn aber nicht, sondern setzen voraus, dass alle Beteiligten wüssten, was darunter zu verstehen sei.

In der Agilen Welt – oder besser breiter gefasst: in der Organisationsentwicklung – verstehen wir darunter im allgemeinen Teams (oder Organisationseinheiten), die sich ohne Steuerung von außen selbst verwalten, eigene Arbeitsweisen und eigene Ziele definieren. Ganz kurz und ganz grob zusammengefasst können wir also sagen, dass wir klassische Führungsaufgaben in die Teams bzw. in die Organisationseinheiten verlagern, verlassen also den Pfad der Fremdbestimmung hin zur Selbstbestimmung einer Einheit.

Ganz gleich, welche weitere Definition ich nun hinzuziehe, geht keine tiefer in die Details, und das ist der erste ganz wichtige Punkt und damit auch der erste Fehler, den ich immer wieder beobachten kann. Der Begriff an und für sich ist viel zu grob. Wenn ich von selbstorganisierten Teams spreche, muss ich dafür sorgen, dass alle Beteiligten eine gemeinsame Vorstellung davon haben, was damit genau gemeint ist. Soll heißen: in welchem Rahmen bewegen wir uns?

Geht es nur um Arbeitsweisen oder auch um Inhalte? Wie weit gehen die jeweiligen Befugnisse der Teams. Was dürfen sie komplett allein entscheiden? Wo müssen sie sich mit anderen Einheiten abstimmen und entscheiden über Teamgrenzen hinaus? Was entscheiden darüber hinaus Geschäftsführung oder Programm? 

Wenn wir all diese Dinge nicht geklärt haben, dann können wir sicher sein, dass wir auf große Probleme stoßen werden, weil wir schlicht und ergreifend unterschiedliche Vorstellungen haben. 

Erschwerend kommt noch hinzu, dass ich den Rahmen der Selbstbestimmung von Seiten der Geschäftsführung vorgeben kann, was in sich aber schon wieder ein Paradoxon darstellt, und genau so wird es von vielen Kollegen auch wahrgenommen. »Die sagen uns, wir können jetzt selbst bestimmen, legen aber jetzt schon alle Regeln selbst fest.«

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Natürlich ist das eine grobe Vereinfachung, aber hier geht es um Wahrnehmungen, und die sind nun einmal selten sehr differenziert. Der Start wird so also sehr holprig werden. Daher rate ich in jedem Fall dazu, auch die Entscheidungsrahmen für die Selbstbestimmung zumindest mit Beteiligung aller zu bestimmen. Eine Geschäftsführung oder eine Bereichsleitung kann mit einem Vorschlag in eine solche Runde gehen, sollte aber sehr darauf achten, dass dieser nicht als Vorgabe verstanden wird. Wir legen alle unsere Vorstellungen auf den Tisch, tauschen Argumente aus und haben (hoffentlich) jemanden, der methodisch soweit geschult ist, dass er gemeinsame Entscheidungen herbeiführen kann, ohne dass eine Partei die Entscheidung an sich reißt.

Machen wir uns nichts vor: diese Dinge werden immer irgendwie verhandelt.

Scrum ist recht deutlich mit seinen Vorgaben, indem es die Rolle des Product Owners etabliert, in dessen Verantwortung das Produkt steht. Vergessen wir aber bitte nicht, dass wir hier von einer perfekten und idealisierten Welt sprechen. Der Product Owner ist niemals vollkommen unabhängig. Er bekommt Vorgaben der Geschäftsführung, und auch das Feedback des Kunden ist – streng genommen – eine Form der Fremdbestimmung (sofern wir es ernst nehmen).

Machen wir einmal ein Gedankenspiel und stellen uns vor, ein Geschäftsführer sagt einem Product Owner, dass er sich ein bestimmtes Feature wünscht. Scrum sagt nun, dass der PO entscheidet, ob das Team diese Anforderung umsetzt, in welchem Umfang und wann diese Anforderung umgesetzt wird. Wenn wir uns vorher nicht darauf geeinigt haben, dass dies eine Entscheidung des Product Owners bzw. des Scrum Teams ist, dann können wir wahrscheinlich ein paar hässliche Szenen erleben.

Im Fall Scrum geht es nicht nur darum, allen die Regeln bekannt zu machen und zu erklären, sondern auch eine Einigung zu erzielen, dass diese Regeln für alle gelten, und dass es keine Abkürzungen und Sonderlocken gibt. Darüber hinaus müssen Teile der Regeln detailliert werden. Was entscheidet ein Team allein und wo muss es sich mit wem abstimmen? Ein Team ist eben keine Insel im weiten Nirgendwo, es hat immer eine ganze Menge Abhängigkeiten in alle möglichen Richtungen. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, und hier liegt auch eine große Fleißarbeit. Wir haben viele Abhängigkeiten. Diese müssen wir identifizieren und die Modi unserer Zusammenarbeit finden. Ein einfacher Hinweis auf die Scrum Regeln, dass der Product Owner entscheidet, reicht nicht, weil es schlicht und ergreifend nicht so ist. Der product Owner entscheidet nicht allein. Auch nicht in der reifsten Organisation. Das müssen wir uns bewusst machen.

Die Arbeitsweisen des Teams sind ähnlich gelagert. Sprechen wir wieder von Scrum und von einem Team, ist es wahrscheinlich recht einfach. Skalieren wir über mehrere Teams, stimmen wir uns ab und finden eine gemeinsame Lösung. 

Stellen wir uns also folgende Frage: wann berühren die Arbeitsweisen eines Teams andere Personen oder Gruppen außerhalb des Teams?

Die Antwort: Fast immer.

Hier bedeutet Selbstorganisation in den Arbeitsweisen also oftmals die Abstimmung der Teams oder Organisationseinheiten untereinander.

Ihr seht also, dass Selbstorganisation eine ziemlich komplizierte Sache sein kann.

Damit haben wir festgestellt, dass die Abstimmung des Rahmens, innerhalb dessen Selbstbestimmung stattfindet, eine der beiden großen Schwierigkeiten ist. Die zweite ist der Start, bzw. die Überführung von Zustand 1 in gewünschten Zustand 2.

Wir wollen zu oft zu schnell zu viel. 

Wenn ich hier jetzt schreibe, dass es eine ziemlich blöde Idee ist, bislang fremdgesteuerten Teams zu sagen, dass sie sich von jetzt an selbst organisieren können und müssen, dann wird mir wahrscheinlich jeder zustimmen. trotzdem geschieht das immer und immer wieder, aber woran liegt das?

Scrum z.B. kennt nur den fertigen Zielzustand. Es verliert kein Wort darüber, wie eine Organisation oder eine Organisationseinheit von einer Arbeitsweise in die andere überführt werden kann. Mit dieser Frage sind die Scrum Master allein gelassen (ok – es gibt Seminare unterschiedlichster Güte zu diesem Thema). Ganz besonders schwierig wird das, weil ich im Transformationsprozess in der Regel keine erfahrenen Scrum Master habe, es sei denn, ich habe sie mir eingekauft, was aber oftmals nur begrenzt möglich ist.

Diese Kollegen lernen also selbst noch, sollen nun aber schon andere unterrichten. Das ist für sich genommen schon schwierig, hinzu kommt aber noch einige menschliche Eigenheiten. Fremdbestimmung gibt z.B. große Sicherheit, weil andere die Verantwortung tragen. Diesen Punkt sollte man nicht unterschätzen. Vielen fällt es ganz schlicht schwer, sich von Gewohnheiten zu lösen. Anderen fehlt der Blick für die Gesamtheit, und sie schießen übers Ziel hinaus.

Es wird also ganz wichtig, diesen Übergang bewusst zu gestalten und nicht von 0 auf 100 zu starten. Damit überfordern wir unsere Kollegen. Viel gesünder ist es hingegen, auch hier in kleineren Schritten vorzugehen. Diese sind von Team zu Team unterschiedlich, je nach Zusammensetzung. Habe ich eher mit Ängsten zu kämpfen, sind meine ersten Schritte andere als bei Gewohnheiten.

Bei Ängsten achte ich darauf, das Sicherheitsnetz (in Form der Verantwortung, die ein anderer trägt) in kleinen Häppchen zu verkleinern und mit harmlosen Dingen anzufangen. Bei Gewohnheiten gehen wir den Weg über kleine Änderungen des Alltags. Bei einem fehlenden Blick für die Gesamtheit forcieren wir den Austausch mit anderen, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, welche Folgen welche Entscheidungen hätten.

Wenn ich diese beiden Dinge beherzige und Schritt für Schritt vorgehe, nicht zu schnell zu viel will, mich auf gemeinsame Regeln und einen allgemein gültigen Rahmen einige, dann ist der Weg zwar scheinbar sehr lang, aber sehr viel einfacher.

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