finance-maze-3-1211160Wir sprechen immer von der »Einführung von Scrum im Unternehmen«, obwohl es doch eigentlich heißt, dass es sich um ein Vorgehensmodell in der Softwareentwicklung handelt. Daraus ergeben sich immer wieder Missverständnisse, die zu massiven Problemen führen. Es ist schlicht nicht möglich, Scrum allein in der Entwicklungsabteilung einzuführen. Alle anderen müssen mitziehen, sonst ist das Vorhaben zum Scheitern verurteilt.

Dieser Punkt lässt sich weder wegdiskutieren noch in irgendeiner Form einschränken. Wer den Versuch startet, die Einführung von Scrum auf die Entwicklung zu begrenzen, wird scheitern. Es tut mir leid, Ihnen das so hart sagen zu müssen, aber es ist leider die Wahrheit.

Warum diese Sache überhaupt ein Thema ist, liegt daran, dass immer wieder ausschließlich im Zusammenhang mit der Softwareentwicklung von Scrum oder Agilität gesprochen wird. Daraus ergibt sich leider sehr oft der Trugschluss, dass es ausreichen würde, neue Regeln für die Entwicklungsteams aufzustellen und diese neu zu organisieren. Es gibt dann eben keine Proejktmanager mehr sondern Product Owner. Auch wenn man sich dann sehr genau an die Regeln hält und alle »But’s« in Scrum vermeidet, wird man dennoch sehr schnell an die Grenzen stoßen, wenn man die Grenze zu einer anderen Abteilung überschreitet.

Genau hier liegt das Problem: Jedes Agile Vorgehensmodell bezieht sich im Kern auf die Softwareentwicklung, auf die Teams, deren Zusammensetzung, Entwicklungspraktiken usw., aber vergessen wir dabei nicht, dass dies eben nur der Kern der Sache ist. Die Entwicklung hat Berührpunkte zu vielen anderen Stellen im Unternehmen. Da ist das Marketing, die Geschäftsleitung, Controlling, Support und manchmal noch viele mehr. Wenn sich alle diese übrigen Personen und Abteilungen nicht an das neue Vorgehen in der Entwicklung anpassen, dann entsteht dort ein Bruch, der zu enormen Reibungsverlusten führt und manchmal überhaupt nicht zu überwinden ist.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, diesen Konflikt aufzulösen: Entweder passt sich das Entwicklungsteam an den Berührpunkten an die angrenzenden Stellen an, womit es einen guten Teil seiner Agilen Vorgehensweise aufgeben müsste, oder die übrigen Personen und Abteilungen passen sich der Entwicklung an, was selbstverständlich bedeutet, dass es zum Teil tiefgreifende Veränderungen in weiten Teilen des Unternehmens geben muss.

Und damit beginnen unsere Probleme erst. Es sollte für alle verständlich sein, dass dieser Bruch in den Vorgehensweisen zwischen den Abteilungen zu Schwierigkeiten führen kann, oftmals ist aber schon an dieser Stelle viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Gehen wir mal in einem Beispiel davon aus, dass Entwicklung und Marketing eng miteinander arbeiten sollen, was sicherlich nicht ungewöhnlich sein dürfte. Als neuer Scrum Master, der mit der Einführung von Scrum betraut ist, haben Sie erkannt, dass Abstimmungen zwischen diesen beiden Abteilungen notwendig sind, also haben Sie einen Termin mit dem Leiter des Marketings vereinbart, um diesem Scrum zu erklären und ihn gleichzeitig davon zu überzeugen, dass es eben nicht mehr möglich sein wird, Dinge einfach einem beliebigen Entwickler vor die Füße zu werfen, sondern in Zukunft alles über den Tisch des Product Owners gehen wird, der die Anforderung priorisiert, was unter Umständen auch zur Folge haben kann, dass das Marketing wesentlich länger wird warten müssen.

Ich bin mir recht sicher, dass Sie damit bei Ihrem Kollegen aus dem Marketing nicht auf allzu viel Begeisterung stoßen werden. Er könnte Ihnen möglicherweise mit der Frage antworten, warum seine Abteilung sich an das Vorgehen in Ihrer anpassen sollte, wenn es ebenso gut andersherum sein könnte. Warum passt sich die Entwicklung nicht an das Vorgehen des Marketings an? Wie antworten Sie darauf?

Möglicherweise wird ein Scrum Master an dieser Stelle mit den Unwägbarkeiten in der Softwareentwicklung argumentieren und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit eines Agilen Vorgehens. Vielleicht wird der einer oder andere sogar das Agile Manifest heranziehen. Ich kann Ihnen garantieren, dass Ihrem Gegenüber das vollkommen egal ist, und der grund dafür ist wiederum ganz einfach: Für ihn verschlechtert sich die Situation.

Bisher war es möglich, sich an einen beliebigen Entwickler mit einem Auftrag zu wenden, der schnell umgesetzt wurde. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. In seiner Wahrnehmung wird die Lage also schlechter. Das führt uns zum Grundproblem einer solchen Herangehensweise, die noch immer die Entwicklung zu isoliert betrachtet. Mit diesem Gedanken wird es sehr schwer, Scrum im Unternehmen einzuführen und auch die breite Unterstützung zu erhalten, die notwendig ist. Es dürfte sich ein endloser Reigen von Meetings und Argumentationen anschließen, in denen Sie zwar immer versuchen, Ihren Gegenüber zu überzeugen, letztlich aber immer auf die eine Frage stoßen, worin der Nutzen für Ihren Gesprächspartner liegt. Gelingt es Ihnen nicht, diesem einen solchen aufzuzeigen, haben Sie einen langen Weg vor sich.

Ich halte den Ansatz, von der Entwicklung als Kern auszugehen und sich dann in konzentrischen Kreisen immer weiter vorzuarbeiten, für nur wenig zielführend. Man reibt sich auf, kommt endlos langsam voran und wird immer nur zähneknirschende Zugeständnisse bekommen. Ein echter Wandel der Einstellung lässt sich nur schwer erreichen. Genau dieser Wandel der Einstellung ist es aber, den wir erreichen müssen und wollen, damit die Sache funktionieren kann.

Wenn ich also an der Einführung von Scrum arbeite, gehe ich grundsätzlich so vor, zunächst einmal mit der Geschäftsführung zu klären, ob diese wirklich den Sinn und Zweck verstanden hat und diesen auch unterstützt, denn ohne rückhaltlose Unterstützung von dieser Seite geht nicht viel. Sehr oft wird man dann feststellen, dass von dort Unterstützung zugesichert wurde, man aber nicht wirklich weiß, was das eigentlich bedeutet. Agilität wird dann zu einem Lippenbekenntnis.

Unsere erste Aufgabe ist also, die Konsequenzen der Agilen Softwareentwicklung für das gesamte Unternehmen gemeinsam mit der Geschäftsführung herauszuarbeiten. Selbstverständlich können Sie als Scrum Master hierbei viel Vorarbeit leisten. Wichtig ist allerdings, dass am Ende die Querverbindungen und Abhängigkeiten klar sind, und die Geschäftsführung vollkommen verstanden hat, worin die Vorteile der angestrebten Veränderung liegen. Diese Vorteile beziehen sich dann eben nicht nur auf die Entwicklung sondern auf das gesamte Unternehmen. Erst dann werden sie die Unterstützung erhalten, die Sie benötigen, wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, Agiles Vorgehen in Ihrem Unternehmen zu etablieren.

Im nächsten Schritt kümmern wir uns um die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Abteilungen und Personen. Auch hier ist es wichtig, dass zuallererst die Geschäftsführung vollkommen verstanden hat, dass sich nur im reibungslosen Zusammenspiel die gesetzten Ziele erreichen lassen. Wichtig ist auch das Verstehen, dass sich Andere an die Entwicklung anpassen müssen, nicht umgekehrt.

Mit diesem Wissen und dieser Unterstützung ist es an der Zeit, alle weiteren betroffenen Personen und Abteilungen ins Boot zu holen. Beginnen Sie auch hier gemeinsam mit der Geschäftsführung mit dem Blick für das Große Ganze. Wichtig ist uns in allererster Linie das Verstehen, dass eine Veränderung des Vorgehens mittel- und langfristig Vorteile für alle Beteiligten hat, auch wenn dies kurzfristig möglicherweise mit einer als nachteilig empfundenen Änderung einhergeht.

Durch die Umkehrung des Vorgehens von außen nach innen anstatt von innen nach außen wird man Ihnen weit weniger Widerstand entgegensetzen. Sie können damit rechnen, dass die Unterstützung aus anderen Abteilungen sehr viel größer sein wird, dennoch sollten Sie auch jetzt noch nicht davon ausgehen, dass alles reibungslos ablaufen wird. Zum einen gibt es immer die eine oder andere Person, die Änderungen schlicht ablehnt. Die nicht verstehen will oder kann, um was es Ihnen geht, der es schlicht egal ist, oder die einfach nicht von liebgewonnenen Gewohnheiten lassen will. Manchmal erreichen Sie mit Überzeugungsarbeit einfach nichts. An dieser Stelle ist die Unterstützung durch die Geschäftsführung notwendig. Wenn man mit Vernunft nichts mehr erreicht, muss es eben Anweisungen geben. Das will niemand, manchmal bleibt uns aber nichts Anderes übrig.

Rechnen Sie auch nicht damit, dass sofort alles reibungslos funktioniert. Die Einführung von Scrum ist immer vor allen Dingen eine Änderung von Gewohnheiten. Es wird immer wieder passieren, dass einzelne Personen unbeabsichtigt in alte Gewohnheiten fallen. Als Scrum Master sollten Sie in diesen Fällen sogar Verständnis zeigen und mit den Personen ganz sachlich darüber sprechen.

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