Cartoon: Continuous Improvement

Wenn der Begriff »Kaizen« fällt, dürfte bei jedem die Bullshit-Bingo-Alarmglocke läuten. Wir hören davon in jeder Agilitäts-Grundlagenschulung und in jedem zweiten Management-Seminar. Leider hören wir dazu jedoch immer nur ein oder zwei Sätze, die das Prinzip vollkommen unzureichend erklären, und wie man Kaizen in die Praxis überführt, erzählt uns sowieso niemand.

Mit der Umschreibung »kontinuierlicher Verbesserungsprozess« ist die Erklärung in den meisten Fällen abgehakt. Nicht nur, dass sich viele Menschen darunter wenig vorstellen können, es gibt auch sehr viele unterschiedliche Ideen, was damit gemeint sein kann. Die einfachste davon wäre: wir machen regelmäßig Retrospektiven – Thema abgehakt.

Es wird Euch hoffentlich nicht überraschen, dass das nicht weit genug greift.

Kaizen ist in ein sehr viel ganzheitlicher Ansatz, der das gesamte Unternehmen umfasst, im Allgemeinen wird dieser Begriff jedoch nur auf ein einzelnes Team bezogen – wir betrachten also nur einen kleinen Teil des Ganzen. Wenn wir eine »kontinuierliche Verbesserung« anstreben ist uns nicht geholfen, wenn wir nur einen winzigen Teil betrachten, schließlich wissen wir doch alle, dass jedes Team unendlich viele Schnittstellen nach außen hat. Wie wollen wir also nachhaltige Veränderungen erreichen, wenn wir all das ignorieren, was um uns herum passiert?

Ich fange jetzt nicht mit der Historie von Kaizen und Agilität und Toyota und all dem Mist an, wir müssen nur verstehen und akzeptieren, dass ein Verbesserungsprozess alle Ebenen der Organisation unter Einbeziehung aller Mitarbeiter und Führungskräfte funktionieren kann. Dazu gehören Qualitätsmanagement, Vorschlagwesen, Weiterbildung, Prozesse und so weiter. Alles was Euch einfällt, was Veränderungen in der Organisation betrifft, gehört letzten Endes dazu, und damit kommen wir zu unserem größten Problem: es wird sehr schnell sehr kompliziert und komplex, weil wir nahezu unendlich viele Aspekte beachten müssten.

Dazu aber später mehr, wenn wir in die Praxis gehen …

Zunächst noch einmal etwas mehr Theorie: Kaizen hat einige Grundprinzipien. Damit ist es in gewisser Weise Kanban recht ähnlich, wo wir auch nur einige Prinzipien finden, die wir selbst zum Leben erwecken müssen. Wie wir das machen wollen, bleibt uns überlassen. Zum Glück gibt es bereits Einiges, was sich in etlichen Unternehmen bewährt hat, und worauf wir zurückgreifen können.

Prozess vs. Produkt. Wir haben die Wahl, ständige Verbesserungen an unserem Produkt vorzunehmen oder ständige Verbesserungen unserer Prozesse. Kaizen sagt, dass es sinnvoll ist, sich auf die Prozesse zu konzentrieren, weil wir so Dinge finden werden, die in Produktverbesserungen münden, z.B. in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Anwendern. Wenn wir darin besser werden, sollte das automatisch Auswirkungen auf unser Produkt haben. Und dadurch, dass wir den Prozess verbessert haben, wird diese Produktverbesserung automatisch verstetigt. Also auch hier eine ganzheitliche Sichtweise, die Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen berücksichtigt.

Kundenorientierung. Sollte uns bereits aus der Agilität bekannt sein, aber Kaizen ist da recht pragmatisch. Zufriedene Kunden zahlen für unsere Leistungen, und Kundenbindung ist einfacher als Neukundengewinnung. Wir machen den ganzen Quatsch ja schließlich nicht, weil wir so gute Menschen sind, wir wollen damit Geld verdienen. Das gelingt uns recht einfach, wenn unsere Kunden Updates kaufen oder das Folgemodell ordern. Es ist also in unserem Interesse, die Sicht des Kunden einzunehmen und zu verstehen.

Qualitätsorientierung geht Hand in Hand mit Kundenorientierung und kann damit sogar als Teilaspekt davon verstanden werden. Selbstverständlich werden Anwender zufriedener mit einem Produkt höherer Qualität sein. In Kaizen haben wir hier jedoch eine ganz zentrale Frage: wie steigern wir stetig die Qualität unserer Produkte. Hier kommen Begriffe wie Total-Quality-Management ins Spiel, Metriken, Messverfahren und Qualitätsstandards. Im produzierenden Gewerbe ist das nichts Neues.

Ein weiteres Prinzip von Kaizen ist, dass Kritik und Vorschläge eine ständige Chance zur Entwicklung und damit zur Verbesserung sind. Wir werden also dazu ermutigt, über eine Feedbackkultur nachzudenken, um immer wieder neue Aspekte in unsere Überlegungen und Bemühungen einzubeziehen. Es soll uns auch dabei helfen, wirklich alle Ecken des Unternehmens mit einzubeziehen.

Schlussendlich werden alle Veränderungen, die einen positiven Effekt erzielen, in Standards überführt, um sie dauerhaft in der Organisation zu verankern. Dieser letzte Punkt ist sehr wichtig, weil wir nur so in eine Nachhaltigkeit und in ein stetiges Vorgehen kommen.

Wenn wir beginnen, über die praktische Umsetzung all dieser Dinge nachzudenken, können wir uns mit zwei Dingen beschäftigen: dem kleinen und dem großen Ansatz. Der kleine Ansatz ist das, was Ihr mit Sicherheit alle kennt – die Arbeit im Team.

Dabei ist die Retrospektive auch nur ein teil unserer Arbeit. Kontinuierliche Verbesserung kann jeden Tag geschehen. In unseren Retros achten wir vor allem auf zwei Dinge: viele kleine Schritte bringen uns auch voran, und eine Veränderung hilft uns nur dann, wenn sie auch nachhaltig ist. Wir suchen also nicht immer nach dem einen großen Wurf – das wisst Ihr sicher längst. Vor allen Dingen bauen unsere Retrospektiven aufeinander auf. Was haben wir beim letzten Mal besprochen? Was ist daraus geworden? Welcher Schritt sollte nun folgen? Wir wollen vermeiden, immer wieder von vorn zu beginnen, andernfalls bleibe unsere Retros Stückwerk, und wir erreichen keine kontinuierliche Veränderung.

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Wir erreichen das relativ leicht, indem wir die Actionables unserer Retrospektiven nicht nur als Item im Sprint anlegen und verfolgen, sondern sie auch bei der nächsten Retro wieder aufgreifen, die erreichte Veränderung analysieren und folgende Schritte diskutieren. Wir bearbeiten also große Themen in unseren Teams auch iteratv. Wir brauchen dafür nicht unbedingt ein eigenes Backlog. Eine Seite in Eurem Confluence reicht vollkommen aus, wo wir die Themen listen, um die wir uns kümmern, und dann Maßnahme / Effekt / nächste Maßnahme usw. immer fortführen. Irgendwann werden wir beschließen, dass wir ein Thema abhaken können, weil wir glauben, dass es einen guten Stand erreicht hat. Das ist vollkommen in Ordnung, auch wenn es dem reinen Kaizen Gedanken widersprechen würde, wir müssen aber auch sehen, welche Baustellen mehr Aufmerksamkeit erfordern als andere. Es ist also auch vollkommen in Ordnung, bei jeder Retro zu fragen, ob wir dieses bestimmte Thema fortführen oder uns um ein anderes kümmern wollen, das uns größere Schmerzen bereitet.

Der große Kaizen Ansatz ist nicht ohne Verbündete zu machen. Wenn wir wissen, dass wir eigentlich alle Teile des Unternehmens betrachten müssen, kommen wir nicht darum herum, die Unterstützung der Geschäftsführung einzuholen. Kommen wir an die nicht heran, gehen wir an die größte für uns erreichbare Skalierung.

Dann wird es kompliziert, weil wir diesen Personen erklären müssen, was wir erreichen wollen, und was das alles erfasst. Mein Rat hierzu ist: Spielt nicht Bullshit-Bingo. Lasst die Begrifflichkeiten verständlich und versetzt Euch auch in die Lage Eures Zuhörers. Was sind seine (oder ihre) Interessen? Was sollte diese Person motivieren, mit Euch gemeinsam eine große Anstrengung zu unternehmen? Wir wollen eine stetige Weiterentwicklung der Organisation erreichen, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern weil wir Aufwände einsparen wollen, Verschwendungen reduzieren wollen, Prozesse optimieren wollen usw. Am Ende steht ein besseres Produkt, schneller am Markt und günstiger produziert. Ebenso wie Agilität kein Selbstzweck ist, ist auch Kaizen kein Selbstzweck. Am Ende geht es um schlichet wirtschaftliche Überlegungen.

Haben wir die Unterstützung der maximal skalierten Ebene, die wir erreichen können, beginnen wir damit, die Aspekte zusammenzutragen, die uns relevant erscheinen. Hier sind wir zum Beispiel bei den Prozessen, wofür wir natürlich die Prozessmanager benötigen. Wir sind beim Qualitätsmanagement und Weiterbildungsprogrammen und möglicherweise vielem mehr. Das heißt, dass wir auch alle diese Personen, die hier verantwortlich sind, für uns und unsere Überlegungen gewinnen müssen. Was will die Organisation erreichen und warum? Wenn wir das vermittelt haben, diskutieren wir, was das in den einzelnen Bereichen bedeutet, und welche Maßnahmen sich daraus ergeben. All diese Verantwortlichen für diese Bereiche erben im selben Moment auch die Verantwortung für den Kaizen-Prozess in diesem Bereich. Wir können und wollen nicht alles zentral steuern, sollten allerdings einen regelmäßigen Austausch anregen. Was geschieht wo? Was funktioniert und was nicht so gut? Wie können wir uns gegenseitig über die Abteilungsgrenzen hinweg unterstützen? Dieser Austausch sollte auch dazu dienen, die Dinge soweit notwendig und sinnvoll zu koordinieren.

In der täglichen Arbeit sind z.B. Ishikawa und die drei Mu (Muda, Mura und Muri – Verschwendung, Abweichung in den Prozessen und Überlastung) ganz gute Ansätze, diese dienen jedoch lediglich der Analyse. Die Erarbeitung unserer Maßnahmen ist eine ganz andere Sache. Hier sind wir bei Vorschlägen, Experimenten und Bewertungen.

Kernaussagen: Kaizen ist mehr als nur das einfache Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung. In der Gesamtorganisation handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Aspekte des Unternehmens umfasst. Wollen wir hier etwas bewirken, benötigen wir die Unterstützung aller Beteiligten.

Wenn Ihr mehr erfahren wollt, oder Unterstützung braucht, sprecht mich einfach an.

twitterrssyoutube
Facebooktwitterredditpinterestlinkedintumblr