Cartoon: Self Confidence

Scrum Master ist kein Ausbildungsberuf und auch kein Studiengang. Daher ist jede Organisation frei in ihrer Jobbeschreibung und -ausschreibung. Was bei den Tätigkeiten schon schwer genug ist, wird bei den Voraussetzungen noch viel schwerer: Was muss ein Scrum Master eigentlich mitbringen?

Ich bekomme in letzter Zeit viele Anfragen für Unternehmen, die erfahrene Scrum Master suchen. Diesen Anfragen liegt im Allgemeinen die Ausschreibung des Auftraggebers bei. Dabei fällt auf, dass Vielen gar nicht so klar ist, wonach sie eigentlich suchen. Versteht mich nicht falsch: woher sollte man das auch wissen?

Einigkeit besteht meistens darin, dass eine Zertifizierung erwünscht ist. Das kann ich gut nachvollziehen, weil man schließlich irgendeinen Indikator braucht, anhand dessen man die Fachlichkeit nachweisen kann, weil es – wie gesagt – keine passenden Studiengänge gibt.

Ich für meinen Teil hab ein paar Semester Elektrotechnik studiert, abgebrochen und dann eine Ausbildung zum Schriftsetzer gemacht. Karrierewege können eben sehr unterschiedlich sein.

Ich rate Euch allerdings dringend dazu, Euch nicht allein auf eine Zertifizierung zu verlassen.

Warum nicht?

Der Weg zum Zertifikat sieht meistens so aus, dass man ein zweitägiges Seminar besucht, und dann abschließend ein paar Tage später einen Onlinetest machen kann. Hat man diesen bestanden, erhält man sein Zertifikat.

Als ich vor vielen Jahren meine Zertifizierung zum Scrum Master gemacht habe (der weitere Zertifizierungen gefolgt sind), bin ich nicht wirklich in der Lage gewesen, ein Team zu führen. Ich war damals noch festangestellt, die Kollegen waren genau so unerfahren wie ich, und wir haben uns viele Dinge gemeinsam erarbeitet.

Das Problem ist, dass eine solche Schulung immer nur theoretisch sein kann. Ein guter Referent schlägt immer auch die Brücke zur Praxis, aber wir müssen in diesem Schulungskontext immer vereinfacht und idealisiert denken. Das wahre Leben sieht jedoch meistens anders aus. Da sind nicht immer alle super motiviert. Da sind nicht immer alle mit uns einer Meinung. Da bekommen wir nicht immer von allen Seiten die Unterstützung, die wir uns wünschen.

Wenn ich als unerfahrener junger Scrum Master frisch aus dem Seminar komme, und in einem Umfeld arbeiten muss, in dem nicht alles so ist, wie es idealerweise sein sollte, werde ich größte Probleme bekommen.

Daher können wir uns wahrscheinlich darauf einigen, dass ein Scrum Master eine passende Erfahrung mitbringen muss.

Was heißt passende Erfahrung?

Wenn ich in einem Umfeld arbeite, in dem Agile und Scrum neu sind, dann sollte ich als Scrum Master derjenige sein, von dem die anderen lernen können. Befinde ich mich jedoch in einem sehr reifen Umfeld, kann ich als frischgebackener Scrum Master von meiner Umgebung lernen, also kurz gesagt: erfahrenes Team und unerfahrener Scrum Master passt. Die einzige Kombination, die wir vermeiden sollten, ist es, einen unerfahrenen SM mit einem unerfahrenen Team zu koppeln. Das kann zwar auch funktionieren, der Weg dahin wird aber sehr viel länger und steiniger sein.

Als nächsten Punkt möchte ich das technische Verständnis ansprechen. Mir persönlich fällt es sehr leicht, in einem beliebigen IT- oder Softwareumfeld zu arbeiten, da ich selbst auch als Softwareentwickler gearbeitet habe. Wenn ich Runden moderieren soll, aber nicht die geringste Ahnung habe, worüber die Kollegen sprechen, mache ich es mir unnötig schwer. Ich kann beispielsweise nicht beurteilen, wann wir vom Thema abschweifen (es sei denn, wir fangen plötzlich an, über Fußball zu sprechen). Ich kann nur schwer beurteilen, ob wir in der notwendigen Tiefe sprechen (zu seicht oder für den aktuellen Stand zu detailliert).

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich meine Teams sehr viel besser unterstützen kann, wenn ich den Kontext verstehe. Ich muss dafür nicht einmal wirklich tief in der Fachlichkeit meiner Kollegen stecken, aber ich sollte mir dennoch einen guten Überblick über die Anforderungen des Produkts als auch über die Technik (also die Werkzeuge meiner Kollegen) verschaffen.

Diese Dinge muss ich nicht zwingend mitbringen. Das kann man sich auch erarbeiten, aber man sollte nicht zu lange damit warten. Solange ich das nicht habe, muss ich mich ausschließlich auf meinen eigenen Werkzeugkoffer (z.B. meine Moderationstechniken) verlassen. Die werde ich immer brauchen, aber den Kontext zu kennen, macht sowohl mir als auch meinen Kollegen das Leben sehr viel leichter.

Als gewünschte Eigenschaft eines Scrum Masters müsste ich also von Erfahrung im betreffenden Umfeld sprechen oder von der Bereitschaft, sich sowohl fachliches als auch technisches Wissen anzueignen.

Man kann anderer Meinung sein, und ich kenne eine ganze Reihe von Scrum Mastern, die ohne jegliches technisches Verständnis sehr gut und sehr erfolgreich in einem technischen Umfeld arbeiten. Ich behaupte, dass man dann andere Dinge braucht, um dies zu kompensieren, z.B. sehr viel Erfahrung und einen sehr großen eigenen Werkzeugkoffer.

Eine Einstellungssache ist mir noch wichtig. Ich bin nicht die Scrum Guide Polizei. Meine Auffassung vom Job als Scrum Master ist nicht die, dafür zu sorgen, dass Scrum läuft. Wir bekommen keinen Preis für die weltbeste und buchstabengetreueste Scrum Implementierung. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass der Laden läuft, und dass wir dabei Agile Prinzipien leben, weil wir uns davon etwas versprechen. Ich bin Pragmatiker.

Ein Beispiel: Scrum gibt vor, dass die alleinige Entscheidungsbefugnis zum Produkt beim Product Owner liegt. Das finden wir aber in den seltensten Fällen. Ich könnte jetzt darauf pochen, dass das aber so sein muss und gegen die Geschäftsführung in den Krieg ziehen (den ich sehr wahrscheinlich verlieren werde), oder die Situation akzeptieren wie sie ist, bestmöglich damit arbeiten und auf eine Veränderung hinwirken, die dem Produkt, den Kunden und der Organisation dienlich ist.

Mit anderen Worten: Pragmatismus ist eine sehr willkommene Eigenschaft eines Scrum Masters, womit wir bei den Soft Skills angekommen sind, wo es wirklich schwierig wird.

Es ist oft zu lesen, dass ein Scrum Master Konflikte auflösen soll. Diese Aussage ist missverständlich. Ein SM ist kein Mediator. Das ist eine gänzlich andere Ausbildung, dafür sind Psychologen besser geeignet. Wenn wir genauer nachfragen, stellen wir oft fest, dass es immer eine Sache der Formulierung ist, dass aber auch immer ein Stückchen Wahrheit darin steckt.

Wir werden Konflikte erleben – im Team oder übergreifend – und wir müssen irgendwie damit umgehen. Von allein werden diese Dinge nur selten besser. Wenn ich mich also nicht traue, derartige Themen anzusprechen und anzugehen, lasse ich es zu, dass ein negativer Einfluss Bestand hat. Um mit Konflikten umzugehen, brauche ich zunächst einmal die Fähigkeit, den beteiligten Parteien zuzuhören und ihnen den Raum zu geben, ihren Standpunkt darzulegen.

Ich muss mich also zurücknehmen können.

Ganz wichtig. Ich gebe den Raum, dass die anderen sprechen können. Diese Gespräche führt man dann sehr vorsichtig in die Richtung eines möglichen Kompromisses.

Wünschenswert bei einem Scrum Master ist also auch die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen (wir müssen nicht immer im Mittelpunkt stehen), und zuzuhören ohne selbst sofort auf die Lösung des Problems zu springen, stattdessen die anderen Schritt für Schritt zu dieser Lösung zu führen.

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Dann sollte ein Scrum Master sehr kommunikativ sein (ohne eine ewig quasselnde Labertasche zu sein).

Wie ist das gemeint?

Viele Dinge lassen sich in einem persönlichen kurzen Gespräch recht einfach und schnell erledigen. Wenn ich es aber vorziehe, Mails zu schreiben, immer schriftlich zu kommunizieren, weil ich schüchtern bin und ungern auf meine Kollegen zugehe, dann werden viele Dinge sehr viel komplizierter sein und sehr viel länger brauchen als nötig. Ich muss nicht zu jedem unangemeldet ins Büro latschen. Ich kann beispielsweise per Mail fragen, wann der oder die betreffende kurz Zeit für einen Schnack hat, ich hätte dieses oder jenes Thema und hätte mal ne Frage. Kurz zu reden wäre wahrscheinlich viel einfacher als über zehn Runden Mailpingpong zu spielen. Die meisten unserer Kollegen haben damit kein Problem.

Und zum Abschluss: Über den Tellerrand hinausblicken.

Die Scrum Regeln sind schnell gelernt – ist ja nicht so schrecklich viel. Wirklich gut werde ich in meinem Job, wenn ich aus vielen Bereichen Dinge mitbringen kann. So kann es nicht schaden, sich mit klassischen Projektmanagementmethoden auszukennen, weil man so die Schwierigkeiten derer besser versteht, mit denen man außerhalb des Teams zusammenarbeitet. Außerdem kann man sich da gute Ideen holen.

Kenntnisse aus Soziologie und Arbeitspsychologie? Großartig. Her damit.

Kenntnisse aus dem Arbeitsrecht? Ein paar grundsätzliche Dinge sollte man wissen.

Mein Rat ist also, den Horizont um Scrum herum zu erweitern. Nur mit dem, was der Scrum Guide sagt, werde ich ein beschissener Scrum Master sein. Moderation, Organisation, Management, Psychologie, Soziologie – und vieles mehr.

Kernaussagen: Die Rolle des Scrum Masters erfordert weit mehr Kenntnisse und Fähigkeiten als nur das Auswendiglernen des Scrum Guides. Für unerfahrene Teams sollte man erfahrene SM rekrutieren, während juniorige Scrum Master von reifen Organisationen lernen können. Ein breites Wissen über »angrenzende« Themen (wie z.B. Arbeitspsychologie) ist ausgesprochen hilfreich.

Wenn Ihr mehr erfahren wollt, oder Unterstützung braucht, sprecht mich einfach an.

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