Cartoon: Doppelrollen

Wir haben gelernt – und der Scrum Guide gibt es vor – dass wir unsere Rollen auf unterschiedliche Personen verteilen. Die Realität sieht in vielen Organisationen jedoch vollkommen anders, und hier spreche ich nicht von Scrum, sondern davon, dass wir dazu neigen, den »fähigen« Kollegen alle möglichen Rollen zukommen zu lassen. Ist das immer eine blöde Idee, oder gibt es ein Szenario, indem es sogar sinnvoll ist, Doppelrollen zu vergeben? Und wenn nicht – gibt es einen Weg aus der Misere?

Wir stecken alle in einem Dilemma. Auf der einen Seite wissen wir, dass wir uns keinen Gefallen damit tun, einzelnen Kollegen mehrere Rollen überzustülpen, auf der anderen Seite mangelt es uns allzu oft an Alternativen. Wir wollen niemandem eine Rolle aufzwingen, also fragen wir bestimmte Personen, ob sie bereit sind, diese neue Rolle anzunehmen (womit wir in gewisser Weise doch die Rollen aufzwingen, weil kaum jemand jemals Nein sagt). Wir fragen jedoch immer dieselben Personen, weil das die sind, die in der Vergangenheit einen guten Job gemacht haben, die gezeigt haben, dass sie Verantwortung annehmen, und von denen wir wissen, dass wir uns auf sie verlassen können.

Damit enden wir immer in einer Art Heldenorganisation. Einige Wenige übernehmen die Verantwortung, während viele andere folgen. Diese Formen der Organisation sind jedoch extrem anfällig, weil der Verlust eines einzigen dieser Keyplayer kaum auszugleichen ist. Wir merken das immer dann, wenn ein Kollege im Urlaub ist, und dann kaum noch etwas in ganzen Bereichen passiert. Das ist ein Zeichen dafür, dass eine Organisation nicht in der Lage ist, den Verlust eines bestimmten Kollegen auszugleichen. Im Allgemeinen passiert das dann, wenn zu viele Rollen und damit verbundene Verantwortungen auf einzelnen Schultern lasten.

Obwohl wir das wissen, machen wir weiter damit, immer wieder denselben Personen neue Rollen zu verpassen. Das ist der direkte Weg in die Hölle, oder?

Wir gehen nicht nur das Risiko ein, das der Busfaktor unerträglich hoch wird – also wie groß ist der Schaden, wenn der Kollege vom Bus überfahren wird, wir überlasten den betreffenden Kollegen auch. Das ist in erster Linie natürlich für die Person schädlich. Burnout ist eine ernste Sache. Es ist weit verbreitet, und oft genug liegt der Grund eben in der Überlastung durch zu viele Verantwortungen. Das Ganze ist damit aber auch für die Organisation schädlich. Auch wenn es nicht zum Schlimmsten kommt, kann der Kollege nicht alle seine Rollen mit voller Kraft ausfüllen. Dinge bleiben länger liegen als nötig, Dinge werden nur mit halber Kraft erledigt, Dinge werden auf den letzten Drücker erledigt. Das macht fehleranfällig, und die Qualität leidet sowieso.

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Zusätzlich macht es die Zusammenarbeit schwerer. Es treten Interessenskonflikte auf, und wenn man mit einer solchen Person spricht, weiß man nie, welchen Hut sie gerade trägt. Wir könnten die negativen Folgen noch stundenlang diskutieren, aber das wird nicht nötig sein. Ich denke, dass wir uns einig darin sind, dass die Häufung von Rollen und Verantwortlichkeiten auf einzelnen Personen keine gute Idee ist.

Trotzdem bleiben wir bei dem Verhaltensmuster, immer dieselben Personen mit mehr und mehr Verantwortungen auszustatten. Wenn man uns fragt, warum wir das tun, antworten wir immer, dass wir keinen anderen gefunden haben.

Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, dass wir uns Gedanken über die Lösung machen.

In unseren Organisationen steckt viel unentdecktes und ungenutztes Potential in unseren Kollegen. Durch unsere hierarchischen Konstruktionen (die es immer gibt, auch wenn wir behaupten, flache Hierarchen zu haben), schaffen wir eine Barriere. Erst wenn man diese überwunden hat, kommt man in die engere Wahl für die meisten Rollen und wird gefragt.

Natürlich wird jetzt die Hälfte von Euch aufschreien und sagen, dass es in ihrem Unternehmen ein Führungskräftenachwuchsprogramm oder was auch immer gäbe. Fragen wir doch einmal, was man tun muss, oder welche Voraussetzungen man erfüllen muss, um dort hineinzukommen. Abgeschlossenes Studium – warum? Empfehlung durch die Führungsraft, die so weit von den Teams entfernt ist, dass sie nur einmal im Jahr zu einem persönlichen Gespräch kommt? Eine persönliche Bewerbung mit anschließendem Auswahlverfahren – nach welchen Kriterien? Talent und Potenzial ist extrem schwer zu beurteilen.

Versteht mich bitte nicht falsch, es gibt auch ausgesprochen gute Nachwuchsprogramme. Die meisten, denen ich in der Vergangenheit begegnet bin, waren jedoch höchst ungenügend, weil sie selbst Hürden aufgebaut haben, anstatt Hürden abzubauen. Außerdem müssen wir einen Weg finden, nicht nur die Kollegen zu finden, die bereit wären, Verantwortung zu übernehmen, sondern auch deren verdeckte Potenziale zu erkennen. Das wird uns nicht durch Programme gelingen, sondern durch den direkten persönlichen Kontakt.

Ein Beispiel: Ein Scrum Master ist eng an den Teams. Er oder sie sieht Tag für Tag, wer im Kleinen – und darum geht es – immer wieder Verantwortung übernimmt, Dinge organisiert, vernünftige und zielführende Beiträge leistet. Diese Personen übernehmen automatisch Führungsrollen innerhalb der Teams, auch wenn wir derartige Dinge offiziell nicht kennen, aber natürlich gibt es teaminterne Strukturen und Hierarchien.

Es sind genau die Leute, die im Kleinen – unbemerkt von den größeren Strukturen – Tag für Tag Verantwortung übernehmen, die wir suchen. Wir fragen jedoch diejenigen, die dicht genug dran sind an den Teams und an den versteckten Potenzialen, nicht nach ihren Empfehlungen oder nach den Personen, die ihnen auffallen.

Damit wir das alles richtig verstehen: wenn ich mich für ein Führungskräftenachwuchsprogramm bewerben muss, werde ich automatisch diejenigen ansprechen, die an ihre Karriere denken. Diejenigen, die jedoch Tag für Tag bereits in ihrem direkten Umfeld Verantwortung übernehmen, erreichen wir so nicht, weil die nicht in dieser Form an ihre eigene Karriere denken. Diese Kollegen tun einfach die Dinge, die getan werden müssen, und genau diese Leute wollen wir haben.

Also laufen wir jetzt los, fragen unsere Scrum Master oder andere, die ganz dicht an den Teams dran sind, nach den Personen, die in dieser Form Verantwortung im Kleinen übernehmen, und unser Problem ist gelöst?

Nun, nicht ganz.

Zum einen muss uns auffallen, dass es diese Leute gibt, und das sieht nicht jeder. Zum anderen müssen wir dann vorsichtig anfangen. Wenn ich als Musiker bisher nur in kleinen Bars gespielt habe, und plötzlich auf einer riesigen Bühne in einem Stadion stehe, könnte das nach hinten losgehen. Die Größe der Aufgabe könnte mich abschrecken. Wir müssen also ganz langsam und vorsichtig vorgehen, die nächstgrößere skalierte Ebene finden, auf der man wirken kann. Also eine Rolle innerhalb eines Teams zu einer Rolle für wenige Teams (vielleicht drei oder vier). Das macht nicht viel Angst, die Größe der Aufgabe wirkt nicht abschreckend.

Im selben Zug können nun Personen, die bereits einen Rollenhut haben, aufrücken auf die für sie nächstgrößere skalierte Ebene und dort vielleicht den ersten entlasten, der zwei oder mehr Rollen innehat.

Das Ganze ist ein längerer Prozess, der nie endet, den man immer wieder pushen muss, auf den man immer wieder achten muss. Das Problem zu vieler Rollen auf zu wenigen Schultern werden wir nicht mit einem einzigen großen Knall in kürzester Zeit lösen können. Die Entlastungen für diese Kollegen müssen wachsen. Das braucht einfach Zeit.

Zum Abschluss noch die Frage, ob es sinnvolle Rollenkombinationen gibt. Die einfache Antwort darauf lautet Nein. Wenn zwei Rollen so dicht beieinander liegen, dass sie sinnvollerweise von ein und derselben Person übernommen werden, dann ist es wahrscheinlich am klügsten, sie zu einer zusammenzufassen. Auch unsere Rollen unterliegen dem Inspect & Adapt. Wenn wir feststellen, dass wir sie ändern müssen, ändern wir sie. Das tun wir nicht jeden Tag nach Lust und Laune, aber wenn es einen guten Grund gibt, passen wir die Dinge an.

Kernaussagen: Wir häufen Rollen auf einzelne Personen, weil es uns an Alternativen mangelt. Im Allgemeinen sind jedoch genug Alternativen vorhanden, die uns lediglich nicht bekannt sind. Personen die dicht an Team sind, können Menschen finden, die in ihrem Umfeld immer wieder Verantwortung übernehmen. Diese bieten sich für Rollen auf der nächstgrößeren skalierten Ebene an. So schaffen wir nach und nach einen größeren Pool an Personen, die Verantwortungen übernehmen können.

Wenn Ihr mehr erfahren wollt, oder Unterstützung braucht, sprecht mich einfach an.

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