Cartoon: Organizational Hero

Die Heldenorganisation – vielleicht unter einer anderen Bezeichnung – kennt Ihr wahrscheinlich alle: es sind immer nur einige Wenige, die alle möglichen Sonderaufgaben übernehmen, so dass man am Ende das Gefühl bekommt, dass ohne eben diese Personen nichts mehr ginge, und im schlimmsten Fall ist das auch so. Mit der Heldenorganisation begeben wir uns in eine sehr gefährliche Abhängigkeit, wie kann man das aber durchbrechen?

Am einfachsten wäre es, den Anfängen dieser Entwicklung entgegenzuwirken, aber auch das ist nicht besonders einfach, denn ein klein wenig Heldentum brauchen wir einfach in unseren Organisationen.

Wie ist das gemeint?

Nicht alles, was wir tun, ist vollständig in Prozesse gegossen. Nicht alles, was wir tun, folgt einem klaren Ablauf und klaren Rollenverantwortlichkeiten. Wir sind ständig dabei – in der einen oder anderen Form – unsere Prozesse weiterzuentwickeln, zu erstellen, Rollenverantwortlichkeiten aufzubauen. Auch die stabilste Organisation befindet sich immer in irgendeinem Wandel, der sich manchmal eben nur in Kleinigkeiten äußert. Und es ist genau dieser Wandel, der von Personen vorangetrieben wird, die sich mehr Gedanken machen als andere, die sich stärker einbringen als andere.

Das ist soweit kein Problem und vollkommen in Ordnung. Wir brauchen diese Gedanken, die sich unsere Kollegen machen, um neue Ideen ins Unternehmen zu bringen. Wir brauchen auch die Veränderer, die selber die Ärmel hochkrempeln und Dinge anpacken. Das sind die Dinge, die unsere Organisationen voranbringen. Dadurch schaffen wir aber automatisch ein sich selbst verstärkendes System, weil einige Personen hervorstechen, und wenn die nächsten Sonderaufgaben, die nächsten dringenden Projekte, der nächste Feuerwehreinsatz ansteht, werden genau diese Personen gefragt.

Die lösen dann diese Sonderaufgaben, und weil das so gut geklappt hat, werden sie das nächste Mal natürlich wieder gefragt. Aber damit nicht genug: der nächste Abteilungsleiter fragt sich, wen er in ein bestimmtes Gremium mitnehmen sollte, und alle Finger zeigen auf einen unserer Helden, weil diese Person sowieso hervorsticht.

So kommen immer mehr Aufgaben und Anforderungen auf eine kleine Gruppe von Menschen in unseren Unternehmen. Verstärkend kommt noch hinzu, dass es eine Charaktereigenschaft dieser Personen ist, Verantwortung übernehmen zu wollen. Das muss nicht einmal etwas mit Ehrgeiz zu tun haben. Es sind einfach Menschen, die Dinge bewegen und vorantreiben wollen. Wenn ich einen von diesen Kollegen frage, ob er oder sie bei einer Arbeitsgruppe mitmachen möchte, dann wird die Person nicht ablehnen, wenn sie das Ziel dieser Gruppe für sinnvoll hält.

So lange sich dieses Heldentum in Grenzen hält, ist das großartig, aber leider kippt es sehr schnell in eine sehr ungesunde Größenordnung. Dann sind wir mit der ganzen Organisation plötzlich abhängig von einigen wenigen Personen, die immer alles machen, weil sie am Ende auch die einzigen sind, die es können. Und für die Helden selbst ist es auch ungesund, weil sich immer mehr Last auf ihre Schultern legt. Es kommen immer neue Aufgaben hinzu, und irgendwann spricht man sogar von diesen Abhängigkeiten, was natürlich nur noch mehr Druck erzeugt, und die Hürde, eine Aufgabe einmal abzulehnen, wird immer höher.

Kennt Ihr die Kollegen, die man immer zu allem fragt und zu allem dazu holt? Deren Kalender so knallvoll sind, dass man erst in Wochen einen freien Zeitslot finden kann? Genau das sind Eure Helden, und ein paar von denen stehen kurz vor dem Zusammenbruch.

Weil sie nicht ablehnen. Weil der Druck aus der Organisation durch die Abhängigkeit ständig wächst. Wenn diese Leute es nicht tun, dann macht es keiner. Wenn diese Leute dabei sind, dann funktioniert das – Ihr kennt die ganzen Aussagen und habt sie bestimmt schon gehört.

Wenn die Sache weit fortgeschritten ist, finden wir uns in einer Situation, dass wir es uns nicht leisten können, dass einer unserer Helden etwas länger ausfällt. Wenn Kollegin X ein paar Tage Urlaub macht, stehen schon ein paar Räder still, und wenn sie einmal ernsthaft krank werden sollte und ein paar Wochen ausfällt, haben wir ein Riesenproblem.

Das ist die eine Seite, aber die andere Seite sind all die anderen Kolleg*innen, die sich voll und ganz darauf verlassen, dass die eine Person das schon machen wird, weil die eine Person das eben immer macht. Wir bekommen also eine kleine Gruppe überlasteter Helden und eine große Gruppe, die sich darauf verlassen kann, dass es die Helden gibt.

Dabei gibt es zwei Aspekte: auf der einen Seite das KnowHow, und auf der anderen Seite das Vertrauen. Es gibt nur unsere Helden, die wissen, wie bestimmte Dinge funktionieren, weil nur sie das gemacht haben. Das beginnt im Team und setzt sich fort auf allen skalierten Ebenen. Schon in den Teams haben wir einige Kollegen mit Expertenwissen, die immer wieder bestimmte Aufgaben übernehmen, weil sie eben die einzigen sind, die das tun können. Auf den skalierten Ebenen sind es andere Aufgaben aber das selbe Prinzip.

Wir alle wissen, wie KnowHow-Transfer funktioniert – im Team meinetwegen über Pairing, was man übrigens auch auf skalierten Ebenen bei anderen Aufgaben tun kann – wir müssen es nur tun. Und dazu muss nicht nur uns, sondern auch vielen anderen, bewusst sein oder bewusst gemacht werden, dass wir hier ein Problem haben, das jetzt eine Investition erfordert, weil das Risiko und die möglichen späteren Kosten sehr viel höher sind.

Natürlich ist Wissenstransfer erst einmal teuer. Man muss sich darum kümmern, man muss Leute finden, die das Wissen übernehmen wollen, man muss Zeit dafür einplanen. Zwei Personen machen im Paar eine Aufgabe, die sonst immer nur einer gemacht hat. Sehr oft müssen wir darum kämpfen und diese Dinge lange argumentieren, weil es ja im Moment läuft, wir sprechen hier immer über ein Risiko, dass einer unserer Helden nicht mehr kann oder nicht mehr will. Das muss den Entscheidern, die ihr OK für die Investition Wissenstransfer geben müssen, oft genug erst einmal bewusst gemacht werden.

Lasst Euch nicht entmutigen, auch wenn es sich manchmal wie ein Kampf gegen Windwühlen und eine unfassbare Ansammlung von Ignoranz anfühlt. Jeder kleine Schritt in die richtige Richtung bringt uns voran.

Der zweite Aspekt – die Verantwortung und das Vertrauen – sind schwerer zu durchbrechen. Ganz automatisch werden immer wieder die Helden gefragt. Man denkt nicht einmal mehr über Alternativen nach. Dem können wir nur mit mühsamer Kleinarbeit entgegenwirken. Als Scrum Master im Team bewegt Ihr Euch in einem sehr kleinen und überschaubaren Umfeld. Da kann man das Thema offen in einer Retro ansprechen, sich auf Maßnahmen einigen und diese dann umsetzen. Im Team selbst ist es leicht zu lösen. Es braucht Einsicht und dann Disziplin (ja, ich weiß, das Wort »Disziplin« hört in der schönen neuen Agilen Welt keiner gern, aber ohne Disziplin geht leider garnix).

Auf den skalierten Ebenen muss ich das Thema auch ansprechen, wenn ich etwas verändern möchte, dort kann ich mich aber oft nur schwer auf konkrete Maßnahmen einigen, wie ich es vielleicht im Teamkontext könnte. Hier kann ich aber immer wieder nerven. 😊

Ich kann immer wieder die Frage stellen: muss das jetzt diese eine Person tun, kann es ein anderer machen? Und wenn mich jemand fragt, warum, erzähle ich immer wieder davon, dass die Heldenorganisation nur dazu führen wird, dass irgendwann alles in Tränen endet.

OK, zu sehr dramatisieren solltet Ihr nicht, damit Ihr noch ernstgenommen werdet.

Ich möchte Euch lediglich sagen, dass der Kampf gegen die Heldenorganisation sehr kleinteilig und langwierig ist.

Was ist eigentlich unser Ziel bei der ganzen Sache?

Unsere Helden komplett aufzulösen und alle Verantwortung auf allen Schultern zu verteilen?

Nein. Das wird uns sowieso nicht gelingen, weil es genug Kolleg*innen gibt, die keine Verantwortung übernehmen wollen, und auf der anderen Seite einige gern viel Verantwortung tragen. Einiges davon ist durch unsere Rollenverteilung und Positionen in der Aufbauorganisation schon geklärt, aber eben nicht alles.

Und es ist auch kein Problem, dass einige Personen auf mehreren Hochzeiten tanzen und mehr Verantwortung übernehmen und in einigen Arbeitsgruppen mitwirken und so weiter. Das wollen wir sogar. Wir wollen, dass es Personen gibt, die Dinge vorantreiben außerhalb ihrer eigenen Rollendefinition. Das ist gesund und bringt uns voran. Wir wollen aber vor allem, dass dies gesund bleibt, müssen also eine Balance finden. Es dürfen nicht zu wenige sein, und diese dürfen nicht zu viel tun.

Was passiert, wenn eine dieser Personen drei Wochen Urlaub macht? Geht es dann weiter, weil man sich gegenseitig gut vertreten kann und andere Personen auch Bescheid wissen, oder stehen dann für diese drei Wochen viele Räder still? Ist das Zweite der Fall, habt Ihr ein Problem. Ist das Erste der Fall, ist alles gut.

Solltet Ihr Euch in einer jungen Organisation befinden – in einem Startup vielleicht, oder in einer gerade gegründeten Organisationseinheit, die gerade aufgebaut wird, in der sich alle Personen einfinden und zurechtfinden, dann tut Euch selbst den Gefallen, dieser ungesunden Heldenentwicklung früh entgegenzuwirken. Achtet darauf, Wissen gut zu verteilen, und achtet auch darauf, dass »Soneraufgaben« nicht immer bei denselben Personen landen. Das Einwirken am Start ist sehr viel einfacher als das Arbeiten gegen die Gewohnheiten einer Organisation.

Kernaussagen: In jeder Organisation gibt es Personen, die gern und freiwillig mehr Verantwortung übernehmen wollen. Das an sich ist kein Problem. Schwierig wird es, wenn es kaum noch möglich ist, eine dieser Personen zu ersetzen. Achtet daher früh auf eine gute Verteilung von Wissen und Verantwortung.

Wenn Ihr mehr erfahren wollt, oder Unterstützung braucht, sprecht mich einfach an.

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