Cartoon: All Animals are equal

Erinnert sich noch jemand an »Die Farm der Tiere« von George Orwell? Vielleicht habt Ihr einmal das Buch in der Schule gelesen oder den uralten Trickfilm gesehen. Wahrscheinlich wundert Ihr Euch, was das mit Agilität zu tun hat? Jede Menge, denn wir können viel aus dieser Geschichte lernen.

Uns interessiert im Moment nicht so sehr, dass diese Geschichte eigentlich Orwells Abrechnung mit dem Kommunismus ist. Ich möchte heute nur auf einen einzigen Aspekt daraus eingehen, der mir sehr wichtig ist, weil er eine Problematik behandelt, die uns immer wieder begegnet.

Für alle, die nicht (oder nicht mehr) mit der Story vertraut sind: Den Tieren auf dem Bauernhof ging es dreckig. Der Farmer war ein Arsch, der sie schrecklich behandelt hat. Also beschlossen die Tiere eines Tages, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie vertrieben den Farmer und bewirtschafteten die Farm danach in Eigenregie. Sie waren also ein selbstorganisiertes Team mit vielen Freiheitsgraden.

Dazu stellten sie ein paar ganz einfache Regeln auf. Die erste davon lautete: Alle Tiere sind gleich. Das funktionierte eine Weile auch ganz wunderbar, bis sich die Schweine zur neuen herrschenden Klasse aufschwangen und diese erste Regel änderten: Alle Tiere sind gleich, nur einige Tiere sind gleicher als andere. Von diesem Moment an ging alles den Bach runter.

Klingt das irgendwie vertraut?

Das Ganze ist eine wunderbare Analogie zur Einführung von Agilität in einem Unternehmen. Anstatt einer strengen Hierarchie verwalten Teams sich selbst, stellen Regeln auf, die für alle gelten und treffen eigene Entscheidungen. Auf der Farm hatten die Tiere das Paradies, so lange sich alle an diese Gleichheit aller hielten. Sie hatten Regeln aufgestellt, die für alle galten. Das ganze System brach, als einige von ihnen eigene Regeln aufstellten.

Spätestens jetzt sollte es für Euch sehr vertraut klingen.

Wenn wir über Agilität in einem Unternehmen sprechen, einigen wir uns implizit auch auf neue Spielregeln. Neue Formen der Kommunikation, des Umgangs miteinander, der Entscheidungsfindung. Spielregeln funktionieren aber natürlich nur, wenn sie für alle Beteiligten gelten. In der Realität sieht es jedoch (ganz besonders oft bei der Einführung von Agile) so aus, dass viele sich an die neuen Spielregeln halten, einige jedoch weiterhin nach ihren eigenen Regeln spielen wollen.

Sehr oft begegnet uns hier das Beispiel, dass die Wünsche der Geschäftsführung eine »Abkürzung« auf die Backlogs der Teams nehmen und aus unerfindlichen Gründen ultrahoch priorisiert sind. Ich will aber nicht immer nur auf die armen Geschäftsführer eindreschen. Manchmal sind es andere Abteilungen. Oft genug sind es auch die Kunden, die Dinge diktieren, inklusive Umfang und Datum.

Wenn wir davon sprechen, dass es eines unserer Ziele ist, enger mit dem Kunden zusammenzuarbeiten, dann meinen wir auch eine echte Zusammenarbeit, einen Dialog, ein gemeinsames Entwickeln des Produkts, nicht die einfache unreflektierte Auftragsannahme. Das hat nichts mehr mit Agilität im allgemeinen oder einer Zusammenarbeit im speziellen zu tun.

Wir passiert also? Wir arbeiten mit vielen Personen mit gemeinsamen Spielregeln. Andere spielen jedoch nach anderen Regeln. Damit kollidieren Dinge, die eigentlich ineinandergreifen sollten. Die Folge ist, dass Themen, die ein Team hoch priorisiert hat, warten müssen. Schlechte Stimmung ist nur eine der Folgen.

Das alles ist (oder sollte) nicht neu sein. Diese Situation begegnet uns in vielen Unternehmen, und der Rat lautet normalerweise: Lieber Scrum Master, sorge dafür, dass alle mitspielen, und alles wird gut.

Leicht gesagt.

Wenn ich jetzt als Scrum Master versuche, das Spiel hart zu spielen und sage, wir spielen nach diesen Regeln, friss oder stirb, dann werde ich damit nur selten Erfolg haben, weil ich Widerstände und Feindschaften erzeuge, die nur noch schwerer aufzulösen sind. Die Reaktion des Widerstandes gegen eine solche Ansage kann ich durchaus nachvollziehen. Wir wollen Gewohnheiten (die sehr bequem sind) ändern und schreiben vor, diese sofort durch etwas Neues zu ersetzen. Das gefällt keinem.

Auf der anderen Seite könnte ich die Leine auch sehr lang lassen und sagen: Scheiß drauf. Die meisten machen mit. Einige schießen immer quer. Wir wissen, wer es ist, und so schlimm ist es letztlich auch nicht, der Laden läuft ja trotzdem. Sei werden sich wundern, wie oft so verfahren wird. Es ist bequem. Alle paar Wochen regt sich vielleicht einer aus einem Team darüber auf, dass wieder einmal jemand etwas an allen vorbei reingedrückt hat, aber damit können wir leben, denken wir. Die Stimmung macht das nicht besser, und letztlich heben wir so alles nach und nach aus den Angeln, weil immer mehr Personen lernen, dass es auch andere Wege zum Ziel gibt. Und ehe wir es bemerken, befinden wir uns wieder in ganz gruseligen Command&Control Strukturen. Auch das geht schneller als man denkt. Das Schlimme ist, wir bemerken es oft nicht einmal, weil wir weiterhin brav unsere Sprintzeremonien durchführen. Wie sich die Backlogs füllen, ist dabei eventuell nur ein Aspekt.

Wenn wir in unserer gesamten Organisation dauerhaft agil vorgehen wollen und die negativen Aspekte des falschen Animal-Farm-Prinzips loswerden möchten, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als daran zu arbeiten, dass alle Spielregeln letztlich für alle gelten. Das schaffe ich allerdings nicht durch Ansagen. Das gelingt mir nur durch den Dialog. Ich erreiche nichts, wenn ich mit Hilfe der Geschäftsführung harte Vorgaben durchsetze, und bei Nichtbefolgen Strafen verhänge. Das wird nur dazu führen, dass die Kollegen sehr kreativ werden, wieder neue eigene Regeln aufzustellen.

Hier findet Ihr eine Übersicht von Videos zu diesem und anderen Themen

Das Problem sind letztlich nur lieb gewonnene Gewohnheiten. Und diese Gewohnheiten sind eben so angenehm, weil sie mit vielen Vorteilen gegenüber den (empfundenen) Nachteilen der Agilen Welt verbunden sind. Natürlich trennt man sich nicht gern von diesen Dingen. Natürlich möchte man dann, dass alles beim alten bleibt.

Der naheliegende Weg, über den jetzt wahrscheinlich alle nachdenken, lautet: dann gehen wir in den Dialog und leisten Überzeugungsarbeit.

Viel Spaß.

Einen Teil werden wir damit erreichen, keine Frage. Ein Teil weiß es einfach nicht, kennt sich nicht aus, hat nur hier und da etwas über Agile gelesen und glaubt die schlimmsten Dinge. Wenn wir mit diesen Personen ganz entspannt sprechen und viele Dinge erklären, dann sind sie oft zum Experiment bereit. Mehr wollen wir doch auch nicht.

Bei anderen ist es weit schwerer. Da reden wir gegen die Wand. Manche sind nicht einmal zum Gespräch bereit oder kommen zu uns, um den Schein zu wahren, grinsen uns ins Gesicht und stellen die Ohren auf Durchzug. Wie kommen wir an die ran? Was machen wir mit den Härtefällen?

Ich kann Ihnen versprechen, die knacken wir nicht in zwei Gesprächen und eine Woche später ist alles super. Die Arbeit mit diesen Kollegen erscheint auf den ersten Blick mühsam, aber im Prinzip ist es ganz einfach.

Uns muss zuerst einmal klar sein, dass die Sache Zeit braucht. Dies müssen wir auch thematisieren. Wenn wir nicht allen klar machen, warum wir bei einigen Kollegen geduldiger sind, dann ist der Unmut sofort da. Wenn ich allerdings sagen kann, dass eine Veränderung auch gewollt sein muss. Dass wir dafür auch in der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen in kleinen Schritten vorgehen müssen, wenn wir Nachhaltigkeit wollen, dann habe ich bei den »willigen« Kollegen wahrscheinlich mehr Verständnis, und das brauche ich ganz dringend. Ich möchte nicht auch nicht auch noch gegen deren Widerstände kämpfen müssen.

Zuerst sollte ich bei den »Unwilligen« die Angst vor der großen Veränderung nehmen. Die ist sehr oft der Grund für das Übel. Natürlich gehe ich (oder das ganze Team) in den Dialog, aber meine erste Aussage ist dann immer, dass wir nicht sofort und auf einen Schlag alles anders machen möchten. Wir möchten zunächst einmal über eine kleine Sache sprechen. Eine kleine Veränderung, die nicht schmerzt.

Wir wissen doch, dass Agilität eine Weiterentwicklung in kleinen Schritten bedeutet. Warum verlangen wir dann von allen, sich in großen Schritten zu verändern? Das passt nicht zusammen. Das ist mit Ängsten verbunden, die uns irrational erscheinen mögen (was bei Ängsten meistens so ist), aber sie sind dennoch da. Ängste nehme ich nicht durch Gespräche, die nehme ich nur durch Lernen. Und der Weg zum Ziel ist auch bei den »gleicheren Tieren« der Weg der kontinuierlichen evolutionären Veränderung. Wir gehen einen kleinen ersten Schritt, betrachten gemeinsam das Ergebnis, stellen fest, dass dieser nicht nur keine Verschlechterung sondern sogar eine Verbesserung für alle Beteiligten gebracht hat, und können dann den nächsten kleinen Schritt angehen. Dieser wird wahrscheinlich sogar ein klein wenig leichter sein. Über die Zeit kommen wir so dazu, dass am Ende tatsächlich alle Tiere gleich sind, wenn wir genug Geduld aufbringen.

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